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20. März 2025

Die Prototypen Phase mit MTB-Profi Claudio Caluori

Die Entwicklung des ROTWILD R.EXC (Teil 3)

Claudio Caluori ist in der Mountainbike-Szene eine wahre Legende. Mit sieben Schweizer Meistertiteln im Downhill, einem vierten Platz im Weltcup und seiner vielseitigen Tätigkeit als Teammanager, Kommentator und Bikepark-Pionier hat er sich einen festen Platz in der Geschichte des Sports gesichert.

Bekannt geworden ist der Schweizer vor allem durch seine spektakulären „Course Previews“, in denen er die anspruchsvollsten Downhill-Strecken der Welt selbst befährt und dabei live kommentiert. Doch Claudio ist mehr als nur ein Entertainer: schon in seiner aktiven Rennzeit hat er sich intensiv mit der Technik seiner Bikes auseinandergesetzt. Gerade im Downhill, wo kleinste Anpassungen an Geometrie, Federung oder Gewicht entscheidend sein können, hat er ein besonderes Gespür für Material und Setup entwickelt. Dieses Know-how macht ihn heute zu einem gefragten Testfahrer, der schnell erkennt, ob ein Bike Potenzial hat – oder noch Feinschliff braucht. In diesem Teil unseres Artikels über die Entwicklung des R.EXC widmen wir uns der nächsten entscheidenden Phase: dem Praxistest mit ersten Prototypen Bikes. Denn selbst die ausgeklügeltste Technik ist nichts wert, wenn sie auf dem Trail nicht vollends überzeugen kann.

Hier kommt Claudio Caluori ins Spiel. Seit 2022 unterstützt er ROTWILD das E-Mountainbike noch stärker als leistungsorientiertes Sportgerät zu positionieren. Sein großer Erfahrungsschatz und sein einzigartiges Fahrgefühl helfen, die Theorie in die Praxis zu übertragen.

Wenn Claudio und Lutz sich austauschen, dann treffen langjährige Erfahrungen aus verschiedenen professionellen Blickwinkeln aufeinander. Tausende Kilometer auf dem Bike in anspruchsvollem Gelände verbindet beide.

Warum ist dieser Schritt so wichtig? Die Entwicklung eines Bikes endet nicht am Computer oder im Labor. Erst im harten Einsatz auf dem Trail zeigt sich, was ein Bike wirklich kann. Claudio nimmt uns mit auf diese spannende Reise – mit Einblicken in die technischen Feinheiten des R.EXC und seinen ganz persönlichen Eindrücken von diesem ganz besonderen Bike vom ersten Kontakt an.

Der erste Eindruck: Ungewohnte Eleganz

Im Frühsommer 2023 war es dann soweit: Der erste fahrfertige Prototyp war einsatzbereit, speziell für Claudio aufgebaut. Unweit des Firmengeländes fand auf den Hometrails des Teams die erste Testfahrt statt – der Moment, in dem Theorie auf Praxis traf und Claudio das Bike erstmals in Aktion erleben konnte.

“Als ich den Prototypen das erste Mal sah, wusste ich sofort, dass hier etwas Besonderes vor mir steht”, erinnert sich Caluori noch sehr gut. „Das Design war außergewöhnlich – ungewohnt, fast futuristisch.“ Aber genau das reizte ihn. “Ein Auge braucht Zeit, um sich an Neues zu gewöhnen”, sagt er. „Das gilt für Bikes genauso wie für Autos oder Architektur. Manchmal ist Skepsis der erste Schritt zur Begeisterung.”

Und diese Begeisterung ließ nicht lange auf sich warten. Schon bei der ersten Testfahrt bestätigte sich Claudios Ahnung: Dieses Bike ist anders. Es ist nicht nur ein weiteres Modell im weiten E-MTB-Markt, sondern ein technologischer Meilenstein.

Claudios Testphilosophie: Mehr als nur Gas geben

Die Tests fanden hauptsächlich in Claudios Heimat, den Schweizer Alpen, statt – einem Paradies für Mountainbiker. Von langen Straßenanstiegen über technische Trails bis hin zu Bikeparks hat Claudio alles direkt vor der Haustür. „Das ist ideal, um ein Bike wirklich auf Herz und Nieren zu testen. Ich versuche, das Bike unter allen möglichen Bedingungen zu fahren”, erklärt er. “Das bedeutet lange Anstiege, technische Trails, ruppige Downhills und natürlich Bikepark-Sprünge.” Dabei geht es nicht nur um Geschwindigkeit, sondern um eine Enduro-typische Vielseitigkeit. Wie verhält sich das Bike beim Hochfahren? Wie kontrollierbar bleibt es in technischen Passagen? Und wie fühlt es sich bei hohen Geschwindigkeiten bergab an?

Höher, schneller, weiter: nicht nur in den Schweizer Alpen, sondern auch auf den Hometrails rund um die Dieburger Firmenzentrale lotete Claudio von Beginn an aus, was in den Prototypen steckt. Schon nach seinem Erstkontakt war klar: jede Menge!

Schon nach den ersten Testläufen bildete sich der Charakter des Bikes klar ab. Was Claudio besonders beeindruckte, war die Uphill-Performance des Prototyps. „Das hat mich ziemlich sprachlos gemacht. Ich bin Stellen hochgekommen, die ich in vier Jahren nicht geschafft habe. Und das gleich beim ersten Versuch. Das neue Hinterbau-System macht hier den entscheidenden Unterschied.“

Das Mid-High-Pivot-System: Eine kinematische Revolution

Aber was genau macht das Mid-High-Pivot-System so revolutionär? Kurz gesagt: Es verändert die Kinematik des Hinterbaus grundlegend. Durch die spezielle Position des Drehpunkts werden Pedalrückschläge deutlich reduziert, und das Hinterrad bleibt selbst in ruppigem Gelände stabil am Boden. Das Ergebnis ist ein souveränes und effizientes Fahrgefühl – sowohl bergauf als auch bergab.

„Beim Hochfahren merkt man sofort, wie vortriebsstark das Bike ist. Es verliert keine Energie, egal wie technisch der Trail ist“, schwärmt Claudio. „Und bergab hat man das Gefühl, ein Downhill-Bike zu fahren. Es ist unglaublich stabil und vermittelt absolute Sicherheit.“

Doch das System bringt nicht nur Vorteile für die Performance, sondern auch in puncto Vielseitigkeit. Mit einer durchdachten Geometrie und einem leistungsstarken Motor wird der Prototyp zum perfekten Allrounder. „Das ist kein Kompromiss-Bike, das alles ein bisschen kann, aber nichts wirklich gut. Es ist in jeder Disziplin absolut spitze. Diese extreme Vielseitigkeit ist sehr besonders!“ betont Caluori.

Technikdetails und Schreibwut: Claudios Testalltag

Während seiner Tests dokumentierte Caluori akribisch seine Erfahrungen. „Ich habe nach jeder Fahrt Berichte geschrieben und Feedback an das Entwicklungsteam geschickt“, erzählt er. „Dabei ging es um alles: von der Batterieleistung bis hin zur Performance in technischen Passagen.”

Ein besonderes Augenmerk legte er dabei auf die Balance zwischen Motorleistung und Geometrie. „Es ist wichtig, die Stärken des Motors zu verstehen, ohne die Geometrie des Bikes zu vernachlässigen. Beim Hochfahren macht der Motor einen großen Unterschied, aber bergab zählt dann wieder die Geometrie und das Fahrwerk.“

Welcher Motor mit welcher Akkukapazität passt am besten zum Einsatzbereich des Weltcup-Boliden? Um hier die richtige Entscheidung treffen zu können, haben wir intensiv die verschiedenen Motorkonzepte ausprobiert. Am Ende stand für das R.EXC der Shimano EP801 mit seinen vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten und seiner souveränen, kraftvollen Unterstützung als Favorit fest.

Fundiertes Feedback ist in der Prototypen-Phase essenziell, da es die Brücke zwischen theoretischer Konstruktion und praktischer Nutzung schlägt und gezielte Optimierungen ermöglicht. „Die Zusammenarbeit mit Lutz Scheffer war sehr intensiv, auch wenn wir meistens per E-Mail und Telefon im Austausch standen. Nach jeder Testfahrt habe ich ihm meine Eindrücke und Verbesserungsvorschläge geschickt – sei es zur Geometrie, Batterieeffizienz oder den Fahreigenschaften.“ Besonders beeindruckte ihn dabei die Reaktionsgeschwindigkeit des Teams: „Man konnte förmlich zuschauen, wie aus meinen Vorschlägen direkt Lösungen entstanden.“

Für Claudio war Lutz weit mehr als nur ein Konstrukteur – er erkannte in ihm einen Visionär, der jede technische Feinheit bis ins Detail durchdachte. „Meine Aufgabe war es, seine Theorie auf den Trails zu testen und herauszufinden, was in der Praxis wirklich funktioniert“, erklärt Claudio. Besonders deutlich wurde diese Zusammenarbeit bei der Optimierung der Batterie: Claudio führte Buch über die Reichweite der Batterien in verschiedenen Fahrsituationen und lieferte präzise Daten, die das Engineering Team in die Weiterentwicklung einfließen ließ. Die Kombination aus dem technischen Know-how der Konstrukteure und Claudios praktischer Erfahrung im Gelände bildete die ideale Mischung, um das R.EXC nicht nur weiterzuentwickeln, sondern es Schritt für Schritt der Serienreife näherzubringen.

Der Blick nach vorne

Claudios Engagement, das R.EXC an seine Grenzen zu bringen und letzte Optimierungen vorzunehmen verfolgte immer auch das große Ziel: Es für den nächsten großen Schritt vorzubereiten, den Einsatz im Renngeschehen. „Es ist eine Sache, ein Bike auf dem Papier zu entwerfen, aber eine ganz andere, es in der Praxis zu perfektionieren“, erklärt Claudio. „Mein Job war es, sicherzustellen, dass es sich nicht nur gut fährt, sondern unter realen Bedingungen auch absolut wettbewerbsfähig ist.“

2024 trat das R.EXC in seine dritte Entwicklungsphase ein und wurde dem ROTWILD Schwalbe Gravity Team für den Weltcup-Einsatz übergeben. Mit dem Übergang ins Rennteam beginnt nun die nächste entscheidende Teststufe: das Bike im harten Renneinsatz weiterzuentwickeln und auf höchstem Niveau zu verfeinern.

Wie schlägt sich das R.EXC unter Wettkampfbedingungen? Welche Eindrücke sammelt das Team? Im letzten Teil unserer Serie gibt Torben Drach, Fahrer des ROTWILD Schwalbe Gravity Teams, einen Einblick in die ersten Rennerfahrungen mit dem Prototypen und wie sich die Arbeit von Claudio auf der Strecke ausgezahlt hat.